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Zu teuer, zu westlich: Warum Nachhaltigkeit für Muslime oft unzugänglich bleibt

Zu teuer, zu westlich: Warum Nachhaltigkeit für Muslime oft unzugänglich bleibt

Geschrieben von Emily Fischer (@thisisamaly)

Vermutlich hast du schon eine Vorahnung darüber, dass Islam und Nachhaltigkeit miteinander einhergehen. Zumindest hast du mit Wraps of Nature eine tolle Möglichkeit gefunden, deinen Lebensstil nachhaltiger zu gestalten.

Ich hatte eine ähnliche Vorstellung davon, dass Islam und Umwelt super zusammenpassen, als ich vor ca. einem Jahr meine Masterarbeit vollendet habe. Meine Vision war es, jungen Muslim:innen eine neue (religiöse) Sichtweise auf das Thema Umwelt und Nachhaltigkeit zu bieten. Anhand eines Forschungsprojekts mit dem Namen „Nachhaltigkeitsbildung und Umweltengagement muslimischer Jugendlicher in Niedersachsen“ habe ich meine Gedanken erstmals strukturieren und so stark konkretisieren können, dass ich später eine eigene Umfrage starten konnte. Daraus entstand eine Masterarbeit mit vielen antreibenden Ergebnissen.

Besonders spannend war am Ende die Empfindung der Jugendlichen über ihre eigene Rolle und Position in der Umweltfrage. Sie empfanden die Umweltdebatte als „verwestlicht“ und ihnen fehlte auch deshalb ein Zugang. Zumal immer wieder Kritik daran geäußert wurde, dass westliche Staaten und deren Politiker:innen mit dem Finger auf andere Regionen der Welt zeigen würden, welche zu wenig für die Umwelt tun würden. Gleichsam sei der globale Westen derjenige Teil der Welt, der die Umwelt am meisten belaste.

Das Dilemma der internationalen Machtverhältnisse haben sie immerzu in den Vordergrund gestellt – auch wenn es darum ging, das eigene Handeln zu reflektieren oder gerade dann. Die eigene vermeintliche Machtlosigkeit im Vergleich zur Politik und der Industrie schien eine gelegene Ausrede zu sein. Als Konsument:innen haben die Jugendlichen aber auch verstanden, dass sie einen Einfluss haben, selbst wenn er zunächst doch so klein wahrgenommen wurde.

Als es um das Thema Fast Fashion ging, hat ein Spiel innerhalb eines Workshops eins gezeigt: Die Verhinderung des Tragens von nachhaltigen Anbieter:innen hängt mit dem Preis, der fehlenden Coolness oder auch mit der optischen Enttäuschung von nachhaltigen Produkten zusammen. Selbst wenn die Jugendlichen also Interesse an nachhaltigen Produkten auf Basis der positiven Faktoren für die Umwelt zeigten, verflog dies schließlich durch den preislichen Faktor. Und das auch, wenn bekannte Marken einen ähnlichen Preis hatten.

 

Muslimische Menschen, die westliche Welt und die Umweltfrage

Schließlich folgten aus meinen Erfahrungen mit den Jugendlichen aus dem Projekt und meiner Umfrage eine Zusammenfassung von Ansätzen, die speziell muslimischen Jugendlichen helfen sollen, der Umwelt und einem Nachhaltigkeitsbewusstsein näher zu kommen. Dabei muss aus meiner Sicht vor allem ein sicherer und offener Rahmen geschaffen werden, der es erlaubt, sich selbst im eigenen Tempo mit immer wieder neuen Lösungen in einem nachhaltigeren und muslimischen Leben zu entfalten und zu wachsen. Der Austausch mit anderen Menschen und bewährten Lebensweisen oder Neuerungen im eigenen Leben kann dabei helfen, motiviert zu bleiben.

Da, wo die Jugendlichen die Debatte rund um die Umwelt und Nachhaltigkeit als „verwestlicht“ vernahmen, habe ich ein Potenzial gesehen. Ich wollte und möchte auch heute noch muslimische Jugendliche dafür begeistern, sich innerhalb ihres sozialen Umfelds eine „eigene muslimische Debatte“ aufzubauen, wenn es ihnen so leichter fällt, sich selbst eher in der Umweltdebatte verortet zu sehen.

Man kann dabei, muss aber nicht aus der westlichen Welt und Herangehensweise schöpfen. Es gibt viele antikoloniale Zusammenschlüsse innerhalb der Umweltbewegung, diese können aus meiner Sicht besonders für muslimische Menschen eine Anlaufstelle sein. Die Begründung dessen sehe ich vor allem in der spürbaren Repression der westlichen Mehrheitsgesellschaft, die auch die Jugendlichen indirekt stets betonten.

Ein tolles Beispiel für muslimischen und gleichsam antikolonialen Widerstand ist Elisa Bas, die sich im Raum Hamburg für internationale Klimagerechtigkeit einsetzt. Für einen wachsenden, von jüngeren Menschen geprägten muslimischen Einfluss auf die Umweltbewegung in Deutschland ist die Verbindung von Religion und Wissenschaft essenziell. Sie kann zum Beispiel innerhalb einer empowernden und bedürfnisorientierten Jugendarbeit Platz finden, damit sich das Nachhaltigkeitsbewusstsein der jungen Muslim:innen stärken lässt.

 

Offene Jugendarbeit zur Förderung des Nachhaltigkeitsbewusstseins von muslimischen Jugendlichen

Religion und Wissenschaft sind nur zwei Gegenstände, die eine wichtige Rolle spielen, sich gegenseitig ergänzen und verstärken können, wenn wir Jugendliche mobilisieren wollen. Erste Impulse für die offene Jugendarbeit sollten sich für eine zielgerichtete Nachhaltigkeitsförderung bei muslimischen Jugendlichen an Religion und Wissenschaft orientieren. Bei Zbidi 2013 heißt es:

„Die Lösung für die Umweltprobleme liegt gemäß der islamischen Umweltethik in der Wiederbelebung von Spiritualität und Glaube. Dies heißt nicht, dass sie sich von Wissenschaft und Entwicklung distanziert, jedoch stellt sie sich gegen die Konsumgesellschaft und maßloses Verhalten.“ (S. 5)

Besonders wichtig ist es aus meinem Empfinden heraus, dass sich muslimische Jugendliche mit sich selbst, ihrer Religion und Nachhaltigkeit auseinandersetzen, damit die schon genannten Vorteile auf religiöser, umweltbezogener und persönlicher Ebene verstanden werden. Dies ist eine Schlüsselkompetenz, die aus der Jugendarbeit mit muslimischen Jugendlichen in der offenen Jugendarbeit hervorgehen sollte.

Jedoch gibt es weitere Aspekte, die zu einer nachhaltig anhaltenden Förderung des Nachhaltigkeitsbewusstseins dazugehören sollten. Und auch die Jugendlichen selbst haben gezeigt, was sie interessiert, was sie zu nachhaltigem Handeln motiviert und demotiviert. Vor allem haben sie dabei soziale Ungleichheiten, gesellschaftliche und damit muslimische Menschen betreffende Probleme angesprochen, die sie persönlich als minderwertigen Teil der Gesellschaft fühlen lassen. Probleme der sozialen Teilhabe von Menschen muslimischen Glaubens müssen demnach im Umkehrschluss Teil einer Jugendarbeit im Sinne der Nachhaltigkeitsförderung sein.

 

Die Rolle von religiösen Akteuren

Die Verknüpfung des gesamten Erlebens – also Glaube und Spiritualität sowie die wissenschaftliche Konfrontation – ergänzen sich in gewisser Weise. Jedoch kann der muslimische Mensch auch ohne das religiös motivierte und geprägte Narrativ nachhaltig und umweltfreundlich handeln. Es ist aber aus meiner Sicht essenziell, dass der Islam als Instrument zur Mobilisierung noch mehr in religiösen Institutionen klar benannt wird und das Potenzial genutzt wird.

Das Potenzial dazu ist gegeben, das muss an dieser Stelle hervorgehoben werden, da es nicht um ein Ausnutzen religiöser Überzeugung geht. Vielmehr geht es um den Nutzen, der religiös belegbar ist und demnach im Glauben der Muslim:innen vorhanden ist, der die (muslimischen) Menschen ihrem Schöpfer also de facto näherbringt.

Die Akteure in den Institutionen sollten sich um Angebote für Jung und Alt bemühen. Oder noch besser: Zeigt eurer Gemeinde oder Institution, dass ihr danach fordert!

 

Muslimisches Engagement in der Weltgesellschaft

Fernab von der offenen Jugendarbeit und dem eigenen näheren Umfeld müssen wir verstehen, dass wir Macht haben. Wir können entscheiden, ob wir weiter die Schöpfung aufs Spiel setzen. Wir können entscheiden, ob wir von nun an langsam aber bestimmt Dinge im Alltag verändern wollen.

Wir können immer wieder neu entscheiden und uns inspirieren lassen. Wir dürfen uns unseren Einfluss als muslimische Community nicht wegnehmen lassen, nur weil wir denken, dass wir keinen Zugang haben. Wir sollten ihn uns ebnen. Es gibt Millionen von Muslim:innen in Deutschland, die wir als Wegbegleiter:innen haben.

Wir haben die besten Voraussetzungen, denn – und das ist von unschätzbarem Wert – auch international sind wir durch Migration vorteilhaft vernetzt. Und was wir ebenso nicht vergessen dürfen: Auch andere nicht-muslimische Menschen setzen sich für die Umwelt ein. Bei ihnen sind wir willkommen, wir sind unterwegs in gemeinsamer Sache, nur durch unterschiedliche Quellen geleitet.

Berücksichtigt, dass wir als Konsument:innen immer wieder entscheiden, ob wir Fast Fashion oder nachhaltigen Anbieter:innen wie Wraps of Nature bevorzugen. Und nun kommen wir zu dir: Deine Entscheidung hat Einfluss, du hast Macht, nutze diese für dich, deinen Glauben und die Umwelt.

So eine kleine und doch riesige Tat kannst du dir nicht entgehen lassen! Zeige dich, zeige deinen Willen und zeige dich mit deiner nachhaltigen Kopfbedeckung. Beschenke von nun an nachhaltig und denke an deine Aufgabe, dein Wissen mit anderen zu teilen. Du allein kannst viel verändern – mach es den anderen vor und dann nimm sie mit auf deinem nachhaltigen und muslimischen Weg.